Abschlussgottesdienstpredigt
Ein beliebtes Spiel unter Kinder ist das Verstecken und Suchen. Kinder verstecken sich vor den Eltern und wollen gesucht werden. Wo bist du? – Das ist dann die Frage. Adam, wo bist du? Das ist in der heutigen Lesung die Frage Gottes an den Menschen, der sich versteckt und auf der Flucht ist. Es ist kein Unterhaltungsspiel, sondern eine Sache, die den Lebensnerv, die Lebensbejahung und die Annahme betrifft. Wo steckst du jetzt? Wie denkst du über dich selbst? Wo bist du als Mensch geblieben? Ist dein Denken, dein Bewusstsein so verblendet, dass du vergessen hast, wer du bist? Warum versteckst du deine Würde? Warum läufst du vor dir selbst, vor deiner Aufgabe, vor den anderen davon?
Auf der Flucht vor sich selbst ist der Mensch auch, wenn er auf falsche Mittel setzt, um das Glück, den Sinn, das Leben zu erreichen, z. B. wenn Arbeit, Geld, Besitz, Gesundheit zum Ganzen gemacht werden. Diese Mittel greifen im Hinblick auf den Lebenssinn zu kurz, sie sind zu wenig. Verabsolutiert führen sie zu Destruktion, Identitätsverlust und Zerstörung. „Das Furchtbare ist, dass man sich nie genügend betrinken kann.“ (Andre Gide) Adam, wo bist du geblieben, in der Flucht, in der Verblendung, in deiner Hast, in deiner Angst, in deiner Erbsünde? Adam, wo bist du? Die Frage kann man auch als Suchen Gottes verstehen. Gott ist auf der Suche nach dem Menschen, der sich verlaufen hat.
Wo ist dein Bruder Abel?
„Da sprach der Herr zu Kain: Wo ist dein Bruder Abel? Kain entgegnete: Ich weiß es nicht. Bin ich denn der Hüter meines Bruders? (Gen 4,9)“ – Papst Franziskus greift diese Frage Gottes an einen Menschen in der Bibel auf. „Die Wohlstandskultur, die uns dazu bringt, an uns selbst zu denken, macht uns unempfindlich gegen die Schreie der anderen. … In dieser Welt der Globalisierung sind wir in die Globalisierung der Gleichgültigkeit geraten. Wir haben uns an das Leiden des anderen gewöhnt, es betrifft uns nicht, es interessiert uns nicht, es geht uns nichts an! - Die Globalisierung der Gleichgültigkeit macht uns alle zu „Ungenannten“, zu Verantwortlichen ohne Namen und ohne Gesicht.[1] - Die Botschaft der Heiligen Schrift mutet uns zu, dass wir einander aufgetragen sind, einander Patron sind, füreinander sorgen, Verantwortung tragen, einander Hüter und Hirten sind. Das Evangelium traut uns zu, dass wir Freunde und Anwälte des Lebens sind, dass wir Lebensräume schaffen, in denen in die Enge getriebene Menschen Ja zum Leben sagen können. Die Botschaft der jüdischen und der christlichen Bibel mutet uns zu, dass wir einander aufgetragen sind, einander Patron sind, füreinander sorgen, Verantwortung tragen, einander Hüter und Hirten sind. Die Bibel traut uns zu, dass wir Freunde und Anwälte des Lebens sind, dass wir Lebensräume schaffen, in denen in die Enge getriebene Menschen Ja zum Leben sagen können. – Wir haben im Dekanat Freistadt eine starke Caritas am Ort erlebt: Besuchsdienste, Sozialverbände, Unterstützung von Familien, Sorge um pflegende Angehörige, Einsatz für Asylwerber, Deutschkurse, Vernetzungen und Kooperation mit Rotem Kreuz, Feuerwehr, Einsatzorganisationen, Polizei, Bundesheer. Lebendig ist aber auch ein ökologisches Bewusstsein, die Wertschätzung der Lebens-mittel, die Sorge um die Umwelt und um die Landwirtschaft …
Kirche, wo bist du?
Mensch, wo bist du? Kirche, wo bist du? Wo ist dein Platz? Der Weg der Kirche ist der Mensch (Johannes Paul II.). So ist der Platz der Kirche auf den Straßen und Wegkreuzungen, zwischen Dienstleistungen und Industrie, in den Kirchen und Kapellen, auf den Wallfahrten und Besinnungswegen, bei den Krippen und bei Asylwerbern und Flüchtlingen, in der Schönheit der Liturgie, der Kunst und der Natur, zwischen Brauchtum, Tradition und stillem Exodus, zwischen Heimat und Weltkirche. Kirche von Linz: Wo bist du nicht (mehr)? Wer hat keinen Ort (mehr) in der Kirche. Wer fühlt sich meist nicht durch bewusste Ausgrenzung oder Entscheidung fehl am Platz, nicht erwünscht … Wo hast du dich resigniert zurückgezogen, bis in Deckung gegangen, hast ein Alibi gesucht in deiner Verantwortung? Welche Milieus erreichst du schon lange nicht mehr? Wer hat dich überfordert? Wer geht uns ab? Wer hat sich entfernt, wer ist zu kurz gekommen, nicht wahrgenommen?
Die Kirchengestalt der vergangenen Jahrhunderte ist (teilweise) in Auflösung begriffen. Strukturen, Sicherheiten und Institutionen sind fragwürdig geworden. Das hat massive Auswirkungen für unser Selbstverständnis, für die Plausibilität, die wir für unser Tun (nicht mehr) erwarten können. Man kann darauf depressiv mit einer Fixierung auf eine heile Vergangenheit reagieren. Ist es nicht aber auch möglich, diese gegenwärtige Situation anders zu deuten und zu leben? Die Krise bietet auch die Chance zum Exodus, zum Aufbruch. Es stellt sich die Frage, ob wir Probleme haben, um unsere Krisen kreisen, auf das Negative fixiert sind, oder ob wir eine Frohe Botschaft haben.
Wir haben das große Engagement von Ehren- und Hauptamtlichen wahrgenommen, in den je verschiedenen Rollen und Leitungsmodellen der Pfarren; aber ebenso wieder einmal die prekäre Personalsituation. Insgesamt hat die Mitarbeit der Laien in den letzten Jahren eine sehr positive Entwicklung genommen. Es gibt ein miteinander reden, ein voneinander lernen, ein aufeinander hören.
Bei der Visitation haben wir viel Positives aber freilich auch von Enttäuschungen gehört: Wie geht es weiter? Haben wir einen Priester am Ort? Oder: Braucht es in Zukunft überhaupt noch Priester? Ehrenamtliche und Hauptamtliche fühlen sich überfordert. Die Sonntagspraxis geht in fast allen Pfarren massiv zurück. Gibt es überhaupt noch attraktive Angebote für Kinder und Jugendliche oder auch für Männer? Wie und von wem wird Leitung von Kirche am Ort wahrgenommen? Die Bilder und Vorstellungen von Kirche triften auseinander. Auch persönliche Verletzungen und Konflikte haben wir mitbekommen. Einzelne Fragestellungen gerade mit Blick auf die enge Personalsituation brauchen noch eine Bearbeitung auf Diözesanebene in Abstimmung mit den Verantwortlichen im Dekanat. Es ist uns dabei bewusst, dass wir nicht für alle Probleme rasche Abhilfe versprechen können, aber wir sind bemüht, zusammen gute Lösungen zu finden.Es muss uns freilich klar sein: Pfarren und kirchliche Orte sind als real existierende menschliche Gemeinschaften kein idealistisches Paradies.
Dankbarkeit und Wertschätzung
„Die Liebe ist nun dadurch, dass Gott uns zuerst geliebt hat (vgl. 1 Joh 4,10), nicht mehr nur ein ‚Gebot’, sondern Antwort auf das Geschenk des Geliebtseins, mit dem Gott uns entgegengeht.“ (Deus caritasest 1) Glaube ist nicht zuerst Moral, es geht nicht primär um Strukturen her, sondern um den Charme der Gnade. Gnade meint die gute Absichtslosigkeit, das freie Umsonst, die Zweckfreiheit des Handelns. Ihr steht gnadenloses und auch strategisches Handeln entgegen. Ebenso würde eine Beziehung, die rein auf Tausch und Ökonomie beruhen würde, verhext sein.
„Ein Mensch, der recht sich überlegt, dass Gott ihn anschaut unentwegt, fühlt mit der Zeit in Herz und Magen, ein ausgesprochnes Unbehagen. Und bittet schließlich ihn voll Graun, nur fünf Minuten weg zu schaun. Er wolle zwischendurch allein, recht brav und artig sein. Doch Gott davon nicht überzeugt, ihn ewig unbeirrt beäugt.“ (Eugen Roth) - „Und weil das Auge dort ist, wo die Liebe weilt, erfahre ich, dass Du mich liebst. … Dein Sehen, Herr, ist Lieben, und wie Dein Blick mich aufmerksam betrachtet, dass er sich nie abwendet, so auch Deine Liebe. … Soweit Du mit mir bist, soweit bin ich. Und da Dein Sehen Dein Sein ist, bin ich also, weil Du mich anblickst. … Indem Du mich ansiehst, lässt Du, der verborgene Gott, Dich von mir erblicken. … Und nichts anderes ist Dein Sehen als Lebendigmachen. … Dein Sehen bedeutet Wirken.“[2] (Nikolaus Cusanus)
In der Gegenwart glauben
Den Menschen Christus zeigen: „Ihr sollt meine Zeugen sein“, hat Jesus Christus den Aposteln gesagt. Viele Menschen in unserem Land kennen Christus nur oberflächlich oder noch gar nicht. Wir sind berufen, ihnen Christus zu zeigen. Wir begegnen ihm, wenn wir tief eintauchen in die Heilige Schrift, in das Gebet und in die Feier der Liturgie.
Beten lernen und beten lehren: Es ist ein Segen für unsere Kirche, wenn es hier viele Menschen gibt, die miteinander und auch einzeln beten und so Gott eine lobende, dankende und bittende Antwort auf das Wort geben, das er durch Schöpfung und Erlösung immer neu zu uns spricht. Unsere Pfarrgemeinden und Gemeinschaften sollen noch mehr Schulen des Gebetes werden. Heiligkeit und Schönheit als Teilhabe am Glanz Gottes können die Liturgie wieder stärker prägen.
Das Glaubenswissen vermehren und vertiefen: „Seid stets bereit, jedem Rede und Antwort zu stehen, der nach der Hoffnung fragt, die euch erfüllt“, lesen wir im 1. Petrusbrief. Dies ist ein Wort auch für heute. Inmitten einer Bildungsgesellschaft ist es notwendig, dass Christen die großartige Gesamtgestalt des christlichen Glaubens gut kennen, damit sie in der Begegnung mit anderen Religionen, Kulturen und Lebensmodellen ernst genommen werden und bestehen können.
Zeichen setzen: Täglich begegnen die Menschen in unseren Ländern einer Flut von Worten und Bildern. Nur weniges davon redet für Gott und für die Kirche. Wir können dem als Christen aber positive Zeichen entgegensetzen, indem wir das Kreuz in der Wohnung und im Arbeitsbereich, das Tischgebet und das Gespräch über religiöse Themen nicht verstecken.
Die Sonntagskultur bewahren: Der möglichst arbeitsfreie Sonntag als gemeinsamer Tag größerer Ruhe ist ein hohes Gut, dessen Preisgabe der ganzen Gesellschaft schweren Schaden zufügen würde. Uns Christen ist der Sonntag heilig. Er ist ein Tag des Feierns vor Gott und mit Gott, ein Tag des Dankes für Schöpfung und Erlösung und ein Tag der Familie.
Leben schützen und entfalten: Die Botschaft der Heiligen Schrift mutet uns zu, dass wir einander aufgetragen sind, einander Patron sind, füreinander sorgen, Verantwortung tragen, einander Hüter und Hirten sind. Das Evangelium traut uns zu, dass wir Freunde und Anwälte des Lebens sind, dass wir Lebensräume schaffen, in denen in die Enge getriebene Menschen Ja zum Leben sagen können. „Entschiedene Christen sind Freunde des menschlichen Lebens in allen seinen Dimensionen: Freunde des geborenen und des noch nicht geborenen, des entfalteten und des behinderten, des irdischen und des ewigen Lebens.“ (Botschaft von Mariazell)